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Warum sprechen Sie immer von althochdeutscher oder babylonischer Dichtung?

Was bedeutet es, wenn Schrott 1997 eine Sammlung mit dem Titel “Die Erfindung der Poesie. Gedichte aus den ersten viertausend Jahren” herausgibt – die im 14. Jahrhundert endet? Wenn Thomas Kling (* 1957) nicht nur eine “Sapphozuschreibun´”, sondern auch eine eigene Auswahl von Catullnachdichtungen ediert? Wenn gleich zwei Dichter der 90er und einer der Nullerjahre das berühmte “Rätsellied” des Wilhelm von Poitiers (von Aquitanien, 1071-1127) übertragen? Wenn ein DDR-Dichter im Jahre 1956 den späten Minnesänger Oswald von Wolkenstein (ca. 1377-1445) zum Schutzheiligen wider den Dogmatismus erwählt? Oder wenn, nur ein letztes Beispiel, 35 Jahre später ein junger Dichter in Greifswald oder Ostberlin auf den alten Herrn Fischart (1547-1590) fällt? Und später ein althochdeutsches Gedicht vom „Weltenbrand“ in einer Fassung für den Prenzlauer Berg herausbringt?  (Bert Papenfuß) Oder, letztes Beispiel, wenn ein Schweizer Dichter Gedichte in einer Mischsprache aus Schwyzerdütsch und Althochdeutsch schreibt – und ein Motto des ältesten namentlich bekannten Schriftstellers deutscher Sprache voranstellt? Also Mittelalter und frühe Neuzeit für Lyrikleser am Anfang des 21. Jahrhunderts.

Als “Leitplanken” wähle ich einen Satz des griechischen Dichters  Dionysios Solomos:

Ich behaupte von mir nicht, ein direkter Nachfahre von Homer und Aischylos zu sein – indes überkommt mich oft ein Gefühl der Euphorie beim Gedanken, Wörter zu benutzen, die auch die ihren waren: Himmel zum Beispiel, Meer oder Wind.

(wie heißt das gleich auf althochdeutsch?!)

sowie drei Sätze des amerikanischen Dichters Ezra Pound:

1. “Ernst und Feierlichkeit sind gänzlich fehl am Platze selbst bei strengstem Studium einer Kunst, deren ursprünglicher Zweck es war, das Herz des Menschen glücklich zu machen.”

2. “Es ist meine feste Überzeugung, daß man durch genaue Kenntnis und Untersuchung einiger der besten Gedichte mehr über Poesie lernt als durch Herumarbeiten an sehr vielen.”

3. “Um geistiger Klarheit willen, und um Ordnung in seinen Gedanken zu bewahren, wird es dem Studierenden von Vorteil sein, das jeweils älteste Gedicht einer bestimmten Art zu lesen, dessen er habhaft werden kann.”

(alle drei aus: Ezra Pound: ABC of Reading)

Empfohlene Lektüre für Neugierige:

• Thomas Kling: Itinerar. edition suhrkamp 2006 (DM 12,80)

• Thomas Kling: Sprachspeicher. 200 Gedichte auf deutsch vom achten bis zum zwanzigsten Jahrhundert (14,90 ¤)

• Die Erfindung der Poesie. Gedichte aus den ersten viertausend Jahren. Hg. Raoul Schrott. Frankfurt am Main 1998 (Taschenbuchausgabe DM 49,80!)

• Ezra Pound: ABC of Reading (div. Ausg. – auf Deutsch aber vergriffen)

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